Die Vision einer verlust- und emissionsfreien Produktion beschränkt sich nicht auf die Betrachtung eines einzelnen Unternehmens als Ultraeffizienzfabrik. Häufig befinden sich Fabriken in einer Umgebung, die viele Möglichkeiten für Symbiosen oder Synergien bietet: In Gewerbe- und Industriegebieten gibt es zahlreiche Ansätze, um firmenübergreifend zu denken, also über Werks- und Unternehmensgrenzen hinweg. Dadurch entsteht Optimierungspotenzial, das sich für ein einzelnes Unternehmen außer Reichweite befindet.
Vernetzung und Kooperation unterschiedlicher Unternehmen, die ohnehin bereits Nachbarn sind oder es bei geplanten Gewerbe- und Industriegebieten werden, bringen für alle Seiten Vorteile. Indem Fabriken Energieverbünde schaffen oder Stoffkreisläufe schließen, können sie effizienter und/oder kostengünstiger produzieren. Kommunen, Zweckverbände oder Betreibergesellschaften profitieren durch Kostenteilung und angrenzende Wohngebiete durch reduzierte Emissionen oder eine verbesserte Infrastruktur. Im besten Fall gelingt eine Symbiose zwischen einem Industriegebiet und dem urbanen Umfeld, also etwa Wohngebieten.
Ebenso wie bei einzelnen Unternehmen, müssen auch Gewerbe- und Industriegebiete, die ultraeffizient werden wollen, einzeln betrachtet und untersucht werden. Denn auch hier gilt: Der Weg zur Ultraeffizienz wird immer auf den individuellen Fall zugeschnitten. Generalisierende Lösungen kann es nicht geben, weil die Voraussetzungen ebenso unterschiedlich sind wie die Zusammensetzung und das Umfeld dieser Gebiete – und damit auch das Optimierungspotenzial und die Synergien, die erzeugt werden sollen.
Größtmögliche Transparenz ist deshalb eine wichtige Voraussetzung für alle Gewerbe- und Industriegebiete, egal ob schon bestehend (Brownfield) oder noch in Planung (Greenfield). Ohne das Vorliegen von Informationen aller beteiligten Parteien lässt sich kaum ausloten, wo die konkreten Potenziale liegen. Entsteht zum Beispiel in einer Fabrik Abwärme, lassen sich Symbiosen und Synergieeffekte in diesem Bereich nur dann erzeugen, wenn die Information vorhanden ist, dass ein Nachbarunternehmen Wärme benötigt. Zu diesem Zweck werden Daten aller beteiligten Unternehmen erhoben – dass wettbewerbsrelevante Inhalte dabei geschützt bleiben, versteht sich von selbst.
Wie groß die Potenziale der Ultraeffizienz über alle fünf Handlungsfelder hinweg sind, kann anhand einiger möglicher Maßnahmen beschrieben werden, die auf viele Gewerbe- und Industriegebiete zutreffen. Sie dienen lediglich der Veranschaulichung und beziehen sich jeweils auf ein Handlungsfeld – wobei die Ultraeffizienz auch in Bezug auf Industriegebiete den Anspruch beibehält, immer sämtliche Handlungsfelder im Blick zu haben.
Baden-Württembergs stadtnahes ultraeffizientes Industriegebiet
2018 riefen die an der Ultraeffizienzfabrik beteiligten Fraunhofer-Institute einen Wettbewerb aus: Gesucht wurden stadtnahe Industrie- und Gewerbegebiete, die Maßnahmen für eine gesteigerte Effizienz im Sinne der Ultraeffizienz planten oder bereits umsetzten. Elf Gemeinden bewarben sich, drei von ihnen kamen in die engere Auswahl: Der Gewerbepark Breisgau bei Bad Krozingen, der Industriepark Nagold Gäu und die Stadt Rheinfelden. Sie erhielten eine kostenlose Round-Table-Veranstaltung mit Vertretern der jeweiligen Kommunen und Unternehmen, Stadt- und Fabrikplanern sowie Fraunhofer-Experten.
Stadt Rheinfelden gewinnt Konzept
Zum Sieger wurde im Oktober 2018 die Stadt Rheinfelden gekürt: Sie gewinnt ein ganzheitliches, individuelles Konzept für den Aufbau eines stadtnahen ultraeffizienten Gewerbegebiets. Darin enthalten ist neben konkreten Handlungsempfehlungen auch eine detaillierte, ganzheitliche Analyse von möglichen Symbiose-Effekten mit dem urbanen Umfeld (etwa durch Stoffstrombewertungen) sowie ein Geschäftsmodell für eine Standortbetreibergesellschaft nach der Vision der Ultraeffizienzfabrik. Ziel ist ein Industriegebiet ohne Abfall, Abwasser und Abluft.
Abwärme, Überschussenergie oder gemeinsame Energieerzeugung (etwa durch PV- oder Biogasanlagen) generiert Vorteile nicht nur für die produzierenden Unternehmen, sondern auch für die Kommune, angrenzende Wohngebiete oder landwirtschaftliche Betriebe. Pflanzliche Abfälle etwa – egal ob aus angrenzenden Privatgärten oder aus der Landwirtschaft – kommen direkt vor Ort zur Energiegewinnung in die Biogasanlage. Die Reststoffe dienen wiederum als Dünger.
Was bei einer Firma als Reststoff entsorgt werden muss, kann bei einer anderen als Rohstoff zum Einsatz kommen. So kann beispielsweise die Schlacke einer Müllverbrennungsanlage beim Bau von Straßen und Wällen innerhalb des Gewerbe- und Industriegebiets Verwendung finden. Außerdem können Stoffkreisläufe für verschiedene Roh- oder Betriebsstoffe wie beispielsweise Wasserstoff, Stickstoff oder Salzsäure etabliert werden. Grundvoraussetzung dafür ist eine firmenübergreifende Schaffung von Transparenz bzgl. des Ressourcenverbrauchs in einem Industriegebiet.
Gemeinsam genutzte Filter- oder Kläranlagen, Angebote des Nahverkehrs, Car-Sharing oder Lärmschutzmaßnahmen sind für alle Seiten vorteilhaft – und verringern, abgesehen von den geteilten Kosten, Emissionen. Über bessere Luft, sauberes Grundwasser, ausgebaute Busverbindungen oder Radwegnetze freuen sich neben den Anwohnern in der Nachbarschaft auch die Arbeitnehmer und die Bewohner der gesamten Kommune.
Nicht jede Firma benötigt aus jedem exotischen Fachgebiet einen Experten als fest angestellten Mitarbeiter. Eine Stelle unternehmensübergreifend gemeinsam einzurichten, ist eine realistischere Option und bietet zudem der Fachkraft ein interessantes Umfeld, um an diversen Arbeitsorten ihre Expertise einzubringen, aber auch zu lernen, Kompetenzen zu erweitern und vielfältige Aufgaben wahrzunehmen.
Ob Kitas, Gastronomie, Sportmöglichkeiten oder kulturelle Angebote – nicht nur Arbeitnehmer und Nachbarn, sondern auch Kommunen, Zweckverbände und Betreibergesellschaften profitieren von gemeinsam genutzten Einrichtungen. Das entspricht dem Konzept der Ultraeffizienz, das vorsieht, dass sich eine Fabrik positiv auf ihre Umgebung auswirkt und die Lebensbedingungen aller verbessert. Auf mehrere Schultern verteilt, lassen sich diese Angebote zudem leichter aufbauen und gemeinsam betreiben.